Die Identität der Identitätskritiker
Warum die Kritik an Identitätspolitik oft mit progressiven Grundgedanken beginnt und dann in persönlichen Kränkungen endet...
(english below)
Zum Ende diesen Jahres lässt sich erkennen, dass das Pendel von identitätsbasierter Politik sich langsam irgendwo in der Mitte einpendelt. Immer mehr Menschen verstehen, dass eine minderheitengeführte Hierarchie nicht zu einer Abschaffung dieser beiträgt, sondern eben diese Ungleichheiten stabilisiert. Es gibt druchaus Aktivist:innen, die sich als Ziel Minderheitenpräsentationen gesetzt haben, diesen Fakt will ich nicht verneinen, doch ich glaube, dass die meisten sich dieser Mechanismen bewusst sind. Aktivist:innen haben es jedoch den Konservativen überlassen, ihre Diskurse zu bestimmen. Während progressive Kräfte, Minderheiten in ersten Schritten durch Maßnahmen wie Beteiligungsquoten oder veränderte Sprache unterstützen wollten und diese als kulturelle Ideen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen vorschlugen, ließen sie sich die Diskurse von Rechten diktieren.
Niemals habe ich jemanden gehört, der behaupten würde, dass gendersensible Sprache Hierarchien abschaffen würde oder ein aktives Mittel gegen häusliche Gewalt, queerfeindliche Gewalt oder Genitalverstümmelung seien. Doch Linke haben es regressiven Meinungsmachern überlassen, ihnen einen Strohmann nach dem anderen anzuhängen. Zu recht weisen einige in Talkshows oder Kolumnen daraufhin, dass es “wichtere Dinge” als Sprachpolitiken gäbe. Natürlich gibt es das und das wissen auch Linke. Eine Antwort auf dieses Argument kann jedoch nicht sein, den Kulturkampf zu bestärken und in Scheindebatten aufzugehen, bis ein Großteil der Gesellschaft sich von ihnen abwendet, weil sie das Gefühl haben, Linke würden ihre realen Probleme nicht wirklich angehen. Linke müssen dem reale Politik entgegensetzen. Frauen sind häufiger von Armut betroffen als Männer, queere und nicht weiße Menschen noch viel öfter. Ebenso von Gewalt in privaten und öffentlichen Räumen. Jeden Tag wird in Deutschland der Mord an einer Frau versucht, jeden dritten Tag gelingt er, das ist keine Bagatelle und auch für Oma Erna vor dem Fernseher absolut verständlich. Wenn mir jemand unterstellt, Meinungen zu unterdrücken und Menschen meine Kultur oder Weltsicht aufzuzwängen, darf ich mich nicht in die Ecke drängen lassen und dahingehend verteidigen. Wer sich verteidigt, gibt hier dem anderen recht. Stattdessen muss ich die Probleme einer migrantischen Frau, die in Armut lebt ernstnehmen, genau wie die Probleme des weißen Mannes, der von Sozialleistungen lebt. Diese Erkenntnis muss in linke Diskursräume gelangen und diese Kritik unterstelle ich linken Identitätskritikern im besten Sinne.
Leider kommen diese Kritiken meistens aus Richtungen, die gleichzeitig in persönlicher Kränkung agieren und die sich mit Teilen der konservativen Diskurskritiker*innen identifizieren. Sie übernehmen ihre Argumentationsmuster und nutzen sie als Mittel, um gegen Dissens mit der eigenen politischen Identität anzukämpfen. Hört man in diesem Zuge Kritik von sich als links verstehenden Menschen, so geht sie oft in die bekannten Buzzwords von “den Woken”, “Gendergaga” oder “Cancel Culture” über. Linke übernehmen Framings von rechten Populisten. Das ist schade. Denn statt sich an innerlinker, brechtigter Kritik an den Zuständen und dem Verlust des Vertrauens von Arbeitern zu beteiligen, geben sie progressive Strömungen auf und verstärken so rechte Diskurse. Das Hauptproblem der Linken seien Linke selbst und dass sie sich nur noch für “Minderheitenpolitik” interessierten. Teile dieser Kritik sind richtig und wichtig, doch wird diese Kritik zur rechten, läuft etwas falsch.
Muss diese Kritik immer mit Ressentiments gegen Minderheiten oder alten weißen Kränkungen einhergehen? Was können queere Menschen dafür, dass Progressive sich in hyperpolitischen Diskursen verlieren und zu weit weg von den Arbeiterinnen sind? Das Problem ist nicht die Minderheit, Identität oder soziale Gruppe. Der Schutz von Minderheiten und Klassenkämpfe sind keine gegenteiligen Konzepte - im Gegenteil; sie sind miteinander verbunden und bedingen einander. Das Problem liegt in linker Strategie und Politik. Wer von links rechte Diskurse zu übernehmen meint, stärkt selbst die politische Rechte.
The identity of the identity critics - Why criticism of identity politics often begins with progressive ideas and then ends in personal slights...
At the end of this year, we can see that the pendulum of identity-based politics is slowly swinging somewhere in the middle. More and more people understand that a minority-led hierarchy does not contribute to the abolition of these inequalities, but rather stabilizes them. There are certainly activists who have set themselves the goal of minority representation, I don't want to deny this fact, but I believe that most people are aware of these mechanisms. However, activists have left it to conservatives to determine their discourses. While progressive forces wanted to support minorities in first steps through measures such as participation quotas or changed language and proposed these as cultural ideas in political and economic areas, they let the right dictate the discourses.
Never have I heard anyone claim that gender-sensitive language would abolish hierarchies or be an active tool against domestic violence, anti-queer violence or genital mutilation. But leftists have left it to regressive opinion makers to attach bogus arguments to them. Some rightly point out in talk shows or columns that there are "more important things" than language policies. Of course there are, and the left knows this too. However, one response to this argument cannot be to reinforce the culture war and engage in sham debates until a large part of society turns away from them because they feel that the left is not really tackling their real problems. The left must counter this with real policies. Women are more often affected by poverty than men, queer and non-white people even more so. They are also affected by violence in private and public spaces. Every day in Germany, an attempt is made to murder a woman, every third day it succeeds, this is not a trivial matter and is absolutely understandable even for Grandma Erna in front of the television. If someone accuses me of suppressing opinions and imposing my culture or world view on people, I must not allow myself to be pushed into a corner and defend myself. Anyone who defends themselves here is proving the other person right. Instead, I have to take the problems of a migrant woman living in poverty seriously, just like the problems of a white man living on social welfare. This realization must enter left-wing discourse spaces, and this is the criticism I impute to left-wing identity critics in the best sense of the word.
Unfortunately, these criticisms usually come from directions that simultaneously act in personal offense and identify with parts of the conservative discourse critics. They adopt their argumentation patterns and use them as a means to fight against dissent with their own political identity. If you hear criticism from people who see themselves as left-wing in this context, it often turns into the familiar buzzwords of "the woke", "gender gaga" or "cancel culture". Left-wingers adopt framings from right-wing populists. That is a shame. Because instead of participating in left-wing, justified criticism of conditions and the loss of workers' trust, they are abandoning progressive currents and thus reinforcing right-wing discourses. The main problem of the left would be leftists themselves and that they would only be interested in "minority politics". Parts of this criticism are correct and important, but if this criticism becomes right-wing, something is wrong.
Does this criticism always have to go hand in hand with resentment against minorities or old white grievances? How can queer people help it if progressives lose themselves in hyper-political discourse and are too far away from working-class people? The problem is not the minority, identity or social group. The protection of minorities and class struggles are not opposing concepts - on the contrary; they are interconnected and mutually dependent. The problem lies in left-wing strategy and politics. Those who believe they have to adopt right-wing discourse from the left are themselves strengthening the political right.